Doppelvertretungsverbot
Der Schuldspruch beruht auf dem aus der in § 9 Abs 1 RAO statuierten Treuepflicht zum eigenen Mandanten resultierenden Vorwurf des Verstoßes gegen die materielle Doppelvertretung. Eine solche liegt nach § 10 Abs 1 RAO vor, wenn der Rechtsanwalt eine Vertretung übernimmt oder auch nur einen Rat erteilt, er in derselben oder einer damit zusammenhängenden Sache aber auch die Gegenpartei vertritt oder vertreten hat. Untersagt ist demnach jede anwaltliche Tätigkeit (zunächst) für und (dann) gegen einen Klienten in derselben oder damit zusammenhängenden Sache, wobei letzterer Begriff dem Regelungszweck entsprechend weit auszulegen ist. Erfasst sind demnach alle Konstellationen, in denen Interessenkollisionen zweier Parteien vorliegen oder auch nur die Gefahr einer derartigen Interessensüberschneidung besteht.Vor diesem Hintergrund erweist sich das Vorbringen der Berufung (der Sache nach Z 9 lit a), die Beratung des C* P* sowie das Unterhalts- und Aufteilungsverfahren beträfen keine zusammenhängende Sache, als unberechtigt. Die festgestellte Beratung des Ehegatten zu den Themen Scheidungsverfahren, gemeinsame Kinder und Ehewohnung sowie die später gegen ihn geführten Verfahren auf Aufteilung des ehelichen Gebrauchsvermögens und der ehelichen Ersparnisse, Kindesunterhalt und Obsorge sowie das Kontaktrechtsregelungsverfahren (vgl ES 5) betrafen – im Sinn der gebotenen weiten Auslegung des Begriffs – eine „zusammenhängende Sache“, in welcher die Beschuldigten Vertretungshandlungen zum einen für, zum anderen gegen C* P* setzten, wodurch sie gegen das Verbot der materiellen Doppelvertretung verstießen.
Der mit dem Argument des Fehlens schriftlicher Aufzeichnungen über das mit C* P* geführte Beratungsgespräch begründeten Ansicht der Berufungen, es habe nicht einmal theoretisch die Gefahr eines Nachteils für C* P* bestanden, ist zu erwidern, dass eine Doppelvertretung auch dann gegen das Gesetz verstößt, wenn gewiss ist, dass durch die Vertretung die Interessen der Gegenpartei nicht beeinträchtigt, geschädigt oder auch nur gefährdet werden können. Es ist also nicht notwendig, dass ein Vertrauensmissbrauch im materiellen Sinn stattgefunden hat. Eine Doppelvertretung ist vielmehr deshalb disziplinär strafbar, weil durch sie stets der Anschein erweckt wird, es würden materielle Interessen des ehemaligen Klienten preisgegeben.
Nach den Feststellungen des Disziplinarrats betrieben die Disziplinarbeschuldigten *, * und * gemeinsam eine Rechtsanwaltskanzlei (ES 4), die den Bezugspunkt für die Prüfung einer allfälligen Doppelvertretung bildet. Das Verbot der materiellen Doppelvertretung erstreckt sich daher, unabhängig von der konkreten vertraglichen Ausgestaltung der Kanzleigemeinschaft und davon, dass * als Substitut arbeitete (vgl ES 4), auch auf Letzteren, der über die Beratung des C* P* durch * informiert war und zeitlich spätere Vertretungshandlungen gegen ihn setzte (ES 5 f).