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Seite angelegt am: 04.05.2022 ; Letze Bearbeitung: 04.05.2022

Familiengerichtshilfe, Erörterung der Berichte in einer Verhandlung

Die Mutter moniert, durch die Entscheidung des Rekursgerichts werde ihr Recht auf ein faires Verfahren nach Art 6 EMRK verletzt.
Zur Chancengleichheit und damit zu den Garantien des Art 6 Abs 1 EMRK gehören die Gewährleistung des rechtlichen Gehörs sowie das zur wirksamen Rechtsdurchsetzung notwendige Recht auf Aktensicht. Die Wahrung des rechtlichen Gehörs ist in § 15 AußStrG geregelt, wonach den Parteien Gelegenheit zu geben ist, von den Anträgen und Vorbringen der anderen Parteien und dem Inhalt der Erhebungen Kenntnis zu erhalten und dazu Stellung zu nehmen. Das rechtliche Gehör im Sinn der Bestimmung wird nicht nur dann verletzt, wenn einer Partei die Möglichkeit, sich im Verfahren zu äußern, überhaupt genommen wird, sondern auch dann, wenn einer gerichtlichen Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten. Das Gericht hat daher den Parteien Verfahrensvorgänge, die erkennbar für sie wesentliche Tatsachen betreffen, bekanntzugeben und ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, dazu Stellung zu nehmen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs begründet auch im außerstreitigen Verfahren Nichtigkeit. Als wesentliche Verfahrensergebnisse sind somit auch Berichte und Expertisen der Familiengerichtshilfe den Parteien zur Äußerung zu übermitteltn.
Eine Verpflichtung, die Parteien von jedem einzelnen Beweisergebnis in Kenntnis zu setzen, besteht allerdings nicht. Ebenso ist es nicht erforderlich, dass einer Partei der Inhalt aller Erhebungen im Einzelnen zur Kenntnis gebracht wird oder diese im Detail erörtert werden, dies unter Bedachtnahme auf die Grundsätze der Konzentration und Beschleunigung des Verfahrens.
Der Besuchsmittlerbericht der FGH wurde den Parteien zur Äußerung zugestellt; der Umstand, dass ihnen die Einsichtnahme in den Handakt der FGH verwehrt blieb, begründet sohin keine Verletzung des rechtlichen Gehörs, weil eine Äußerung zu den wesentlichen Verfahrensergebnissen unbehindert möglich war.
Daran ändert auch die vom Revisionsrekurs zitierte Entscheidung des EGMR (24. 2. 1995, McMichael gg das Vereinigte Königreich), nichts, weil der dort behandelte Fall anders gelagert war. Dort wurde der Mutter im Zuge eines „children´s hearings“ ein grundlegendes Schriftstück, nämlich ein vom Fürsorgeamt über das Kind erstellter Bericht, überhaupt nicht vorgelegt. Der Vorsitzende des children´s hearings informierte die Mutter lediglich über den Inhalt. Der EGMR beurteilte die Unterlassung der Offenlegung solcher elementarer Schriftstücke als eine Verletzung des Art 6 Abs 1 MRK, weil ein faires – kontradiktorisches – Verfahren auch das Recht der Parteien beinhalte, die vorgebrachten Bemerkungen oder die beigebrachten Beweise kennenzulernen und dazu Stellung zu nehmen.
Im konkreten Fall war die Mutter in die Erstellung des Besuchmittlerberichts eingebunden, und ihr wurde vom Gericht – nach Zustellung des Berichts – Gelegenheit eingeräumt, dazu Stellung zu beziehen. Das rechtliche Gehör der Mutter wurde damit gewahrt, weswegen eine bloße Verweigerung der Einsichtnahme in die internen Aufzeichnungen der FGH keine Verletzung des Art 6 EMRK darstellt.
Auch die behauptete Verletzung des Art 8 EMRK liegt nicht vor. Eine Verwehrung der Akteneinsicht kann zwar grundsätzlich eine Verletzung des Art 8 EMRK darstellen (vgl EGMR 24. 9. 2002, Bsw 39393/98 M. G. gegen das Vereinigte Königreich). Ein Grundrechtseingriff ist hier jedoch zu verneinen, weil das Recht auf Akteneinsicht eben nicht verletzt wurde.
Lediglich der Vollständigkeit ist jedoch darauf hinzuweisen, dass gemäß § 106b AußStrG ein Bericht über die Wahrnehmungen der FGH bei der Durchführung der persönlichen Kontakte auf Antrag des Gerichts in einer mündlichen Verhandlung möglich ist. Die Verschwiegenheitspflicht der FGH gilt nicht gegenüber dem Pflegschaftsgericht, wenn die FGH schriftlich oder in der mündlichen Verhandlung Bericht über die Ergebnisse ihres Auftrags erstattet (§ 106a Abs 4 AußStrG; vgl Standards der Familiengerichtshilfe, iFamZ 2016, 50). Gleiches gilt auch für die – hier verfahrensgegenständlichen – Besuchsmittlerberichte nach § 106b AußStrG.
Im Verfahren außer Streitsachen kommt dem Gericht Beweisaufnahmeermessen zu (6 Ob 149/06; Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG I2 § 31 Rz 11). Hinsichtlich des Umfangs der Beweisaufnahme ist der Richter also nicht streng an die Anträge der Parteien gebunden; er kann darüber hinausgehen, aber auch nach seinem Ermessen im Interesse einer zügigen Verfahrensführung von der Aufnahme einzelner Beweismittel Abstand nehmen, wenn auch auf andere Weise eine (ausreichend) verlässliche Klärung möglich ist. In der Literatur wird allerdings im Zusammenhang mit dem ähnlich gelagerten Fall der Berichterstattung des Kinder- und Jugendhilfeträgers (§ 106 AußStrG) die Auffassung vertreten, dass den Beteiligten ein Recht auf die Erörterung der Beweisergebnisse in einer mündlichen Verhandlung zusteht. Dem ist zu folgen:
Dass den Parteien das Recht zusteht, zu Berichten und Expertisen der FGH Stellung zu nehmen, wurde bereits ausgeführt (vgl ErwGr 4.1.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Berichte weder als Zeugenaussagen noch als Sachverständigengutachten zu qualifizieren sind , sondern als Beweismittel eigener Art und daher der freien Beweiswürdigung des Gerichts unterliegen. Als solche Beweismittel sui generis sind die Ausführungen der FGH widerlegbar. Wenngleich das Entkräften oder Falsifizieren des Berichts der FGH vor allem durch ein Sachverständigengutachten gelingen wird können, darf den Beteiligten doch nicht das Recht genommen werden, Widersprüche oder Fehler auch in einer mündlichen Verhandlung aufzuzeigen und das Berichtssubstrat zu hinterfragen, um die Beweiskraft des Berichts in Zweifel zu stellen. Auch wenn der Unmittelbarkeitsgrundsatz im Außerstreitverfahren im Allgemeinen nicht gilt, weswegen eine mündliche Erörterung der Beweisergebnisse grundsätzlich nicht zwingend erforderlich ist, widerspräche eine solch strenge Handhabung dem Grundsatz der materiellen Wahrheitsfindung, dem insbesondere durch eine lebensnahe Beweiswürdigung entsprochen werden kann.
Der Mutter wäre es somit freigestanden, die Berichterstattung der FGH im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zum Zwecke der Erörterung des Berichtssubstrats zu beantragen.