Zum Hauptinhalt springen Skip to page footer
Seite angelegt am: 03.09.2023 ; Letze Bearbeitung: 03.09.2023

Formelle Entscheidungsform irrelevant

Voraussetzung der Rechtsprechung, wonach das Vergreifen in der Entscheidungsform weder die Zulässigkeit noch die Behandlung des Rechtsmittels und die Rechtsmittelfrist beeinflusst, weil auch Gerichtsfehler nicht zur Verlängerung der Notfristen führen können, soll nach jüngeren Entscheidungen des 10. Senats sein, dass das Gericht in den Entscheidungsgründen unzweifelhaft und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat, das Klagebegehren in Form eines Beschlusses zurückweisen zu wollen, es im Spruch aber dann irrtümlich mit einer Klageabweisung vorgegangen ist. Nur unter dieser Voraussetzung wäre nach Ansicht des 10. Senats davon auszugehen, dass die Entscheidung trotz der unrichtigen Bezeichnung (Wahl der Urteilsform) einen Beschluss darstellt.
Die Sichtweise des 10. Senats stieß in der Literatur auf Zustimmung, aber auch auf Ablehnung. Ihr Vorteil wird darin gesehen, dass sie anders als die streng objektive Theorie nicht einen schweren Gerichtsfehler zu Lasten der Partei ausschlagen lasse und alleine dieser die Folgen der durch das rechtswidrige Verhalten des Gerichts provozierten Fristversäumnis auferlege.
Gegen die Sichtweise des 10. Senats wird eingewendet, dass sie die objektive Theorie um ein subjektives und konturloses Kriterium auflade. Man werde trefflich streiten können, „wie unzweifelhaft unzweifelhaft genug ist, um dem Gericht einen von der gewählten Form abweichenden Entscheidungswillen zu unterstellen“ (Schindl, ÖJZ 2023, 199). Der 10. Senat behandle eine Entscheidung, obgleich sie eigentlich objektiv betrachtet in Beschlussform ergehen hätte müssen, als „echtes“ Urteil, wenn sich aus ihrer Begründung nicht unzweifelhaft erkennen lasse, das Gericht habe (zB) die Klage aus formellen Gründen zurückweisen wollen und sich nur in der Entscheidungsform vergriffen. Den 10. Senat beim Wort genommen müsste dies auch Einfluss auf die Statthaftigkeit haben. Umgekehrt müsste unter Anlegung der vom 10. Senat aufgestellten Kriterien eine Entscheidung, die in Urteilsform ergehen müsste, aber vom Gericht in Form eines Beschlusses gefällt wird, eigentlich binnen 14 Tagen angefochten werden.
Der erkennende Senat vermag sich der Sichtweise des 10. Senats nicht anzuschließen. Kern der objektiven Theorie ist, dass es für die Anfechtbarkeit darauf ankommt, welche Entscheidungsform nach dem Gesetz die richtige ist. Es ist allein Sache des Gesetzes vorzugeben, binnen welcher Frist und unter welchen Voraussetzungen eine bestimmte Entscheidung angefochten werden kann. Daran vermag die Wahl einer unrichtigen Entscheidungsform durch das Gericht nichts zu ändern.
Dass eine Partei aufgrund einer unrichtigen Entscheidungsform über das ihr zustehende Rechtsmittel irren kann, trifft zwar zu. Es ist aber auch sonst Aufgabe des Rechtsmittelwerbers, Beschwer, Rechtsmittelfrist und Richtigkeit der anzufechtenden Entscheidung selbstständig zu prüfen.
Wenn gesagt wird, die Sichtweise des 10. Senats vermeide, dass ein schwerer Gerichtsfehler zu Lasten der Partei ausschlage, so kann auch die Qualifikation des Rechtsmittels als rechtzeitig zu Lasten des Rechtsmittelgegners in die Rechtskraft eingreifen.
Letztlich stellte sich die Frage der Grenzen der vom 10. Senat eingenommenen Sichtweise. Behandelt man danach ein Rechtsmittel bei der Prüfung seiner Rechtzeitigkeit statt gesetzeskonform als Beschluss als Urteil, bleibt unklar, wie die angefochtene Entscheidung zB bei der Prüfung der Statthaftigkeit oder für die Frage der Zusammensetzung des Rechtsmittelgerichts behandelt werden soll. Behandelte man all dies einheitlich nach der unrichtigen Entscheidungsform, würde daraus auch ein unzutreffendes Rechtsmittelsystem resultieren. Ginge man demgegenüber allein für die problematische Frage der Rechtzeitigkeit in Fällen wie dem vorliegenden von einem Urteil, ansonsten aber von einem Beschluss aus, so würde daraus ein „gemischtes“ Rechtsmittelsystem resultieren, das im Gesetz gar nicht vorgesehen ist.
Der erkennende Senat sieht aus diesen Gründen keine Veranlassung, von der (streng) objektiven Theorie abzugehen.